Das Hawaii-Tagebuch von Oli Fischer

Montag, 5 Tage vor dem Rennen

Nach 36 Stunden Reisezeit – in Los Angeles haben wir einen Night Stop einlegen müssen – landen wir endlich. Es dauert nach dem Aussteigen etwa 36 Sekunden, bis mir der erste Schweisstropfen die Stirn runterläuft. Aloha and welcome to Kona!

Bis alle Gepäckstücke vom Band geholt sind und ich das Mietauto – ein Van genügt unseren Platzbedürfnissen gerade so – geholt und alle sechs Taschen, das Velo und das Surfbrett aufgeladen habe, hat die Schweissmenge die Saugfähigkeit meines Shirts und meiner Unterhose längst überstrapaziert. Ich weiss gerade nicht, was mir mehr zu schaffen macht: der Schlafmangel in Kombination mit dem Jetlag, oder die Hitze in Kombination mit der Luftfeuchtigkeit!? Manchmal kommt man an seine Grenzen, auch ohne einen Ironman zu machen.

Auf dem Weg ins Haus fahren wir den HI-19, Queen Ka‘ahumanu Highway, entlang, vorbei am Energy Lab, und schon zählen wir drei Dutzend Athleten auf ihren Velos, aber auch rennend. Einer flickt seinen Platten, am Rand zu den schwarzen Lavasteinfeldern, die den ganzen Highway säumen. Soweit das Auge reicht. Welcome to Kona!

Unser Zuhause für eine Woche ist bald erreicht. Es ist ein Mietshaus, das etwa 3 km vom Rummel in Downtown entfernt liegt, an etwas erhöhter Lage mit Blick auf den Pazifik, in einer Art Urbanisation. Genügend Platz, eine eigene Küche und ein privater Pool sind gute Voraussetzungen, um dem Stress vor dem Rennen etwas entgegenzuwirken. In der Garage öffne ich den Karton und nehme mein Bike und die Laufräder raus. Es ist alles unversehrt! Drei Quadratmeter Styroporplatten, vier Quadratmeter Luftpolsterfolie, etwa 100 m Klebeband, 9 FRAGILE-Kleber und 7 Stunden Arbeit hatten ihre erhoffte Schutzwirkung. Ein beschädigtes Velo wäre ein zu grosses Handicap gewesen. (Zwar hat Specialized gerade das neue S-WORKS Shiv Disc herausgebracht, aber 14 Grants sind momentan zu viel Geld für ein neues Velo.) Drei Wochen Hawaii zu dritt sind schon teuer genug.

 

Im Sonnenuntergang drehe ich noch ein paar Laufrunden in unserem Quartier. Das Licht und die Farben sind auf Hawaii speziell und sehr intensiv. Ich habe das ganz vergessen. Eva nennt Hawaii immer unser eigentliches Zuhause, weil es sich so anfühlt, als wären wir in einem anderen Leben hier gewesen, und unsere Seelen lassen uns das spüren. Wir sind angekommen.

Dienstag, 4 Tage vor dem Rennen

Seit 02:54 Uhr bin ich wach. Jetlag. Ich vertreibe mir die Zeit mit Auspacken. Als ich um 05:00 einen erneuten Anlauf zum Schlafen nehme, kommt meine Tochter ins Zimmer: Papiiiii? Guguuuseliiiii? Ich stelle mich schlafend, sonst wird es definitiv nichts mehr mit Schlafen. Eva holt sie zurück in ihr Zimmer und sie schlafen kurz später wieder ein. Die Glücklichen. Ich nicht.

Ich beschliesse, um sechs ins Auto zu steigen und zum Aquatic Center zu fahren, das um 06:15 öffnet. Ich bin bestimmt einer der Ersten. Denkste! Das 50 x 25 m grosser Becken ist gerammelt voll. Hätte ich mir denken können, denn bereits auf dem Weg dahin bin ich dutzenden Athleten begegnet, die am Velofahren oder Laufen waren. Ich suche mir einen Platz in einer der wenigen nicht von einem Coach und seinen Athleten belegten Bahnen und mache mein Training.
Zurück, nach dem Frühstück unter Palmen mit meiner Familie, schraube ich noch mein Velo ganz zusammen, und danach fahren wir zur Registrierung nach Kona. Welch ein Zirkus! Die Strassen, vor allem der Alii Drive, sind gesäumt von nassgeschwitzten Sportlern und Passanten mit rasierten Beinen. Überall liest man den IRONMAN-Schriftzug oder den irgendeiner Triathlonmarke. Es ist eine freudige und gleichzeitig angespannte Athmosphäre.

Das Ironman Village ist seit kurzem geöffnet, einzelne Stände sind noch im Aufbau begriffen. Die Menschenmassen halten sich in Grenzen, und wir können ungestört stöbern. Am Ende haben Eva und ich die Triathlon-Commmunity um einige hundert Dollar bereichert und uns um einige T-Shirts und Caps.
Die Registrierung ist superprofessionell. Ich muss fünf Formulare mit irgendwelchen Verzichts- und anderen Erklärungen unterschreiben, bis ich meine Startnummer und den Chip ausgehändigt erhalte. Eine Viertelstunde dauert das Prozedere im King Kamehameha Hotel direkt beim Start vom Samstag.

Nach einem Grosseinkauf im Safeway (Eva und Mara fanden es da viel lustiger als ich) drehe ich noch eine Runde auf dem Rad zum Flughafen. Es ist Nachmittag und Temperatur- und Windeverhältnisse dürften etwa die härtesten sein, jetzt. Innert Minuten ist mein Dress vollgeschwitzt, aber mit dem Fahrtwind ist es gar nicht so schlimm mit der Hitze. Der Wind ist schon eher mühsam. Als Leichtgewicht fühle ich mich manchmal wie ein Blatt im Wind, aber ich gewöhne mich etwas daran. Man muss einfach permanent steuern. Richtig schwierig wird es, wenn man auf dem Lenker liegend nach der Flasche greift, um zu trinken. Die Trucks, die wenige Meter neben einem vorbeifahren, haben den grösseren Einfluss als der Wind selbst. Wenigstens diesen Faktor werde ich am Samstag nicht haben. Das Velo funktioniert übrigens problemlos.
Spaghetti und ab ins Bett, todmüde um 19:47.

Mittwoch, 3 Tage vor dem Rennen

Endlich habe ich mal wieder mehr als sechs Stunden schlafen können, seit fünf Tagen! Heute lassen wir es ruhig angehen, ein Morgen am Magic Sands Beach. Den Surfern schaue ich mit etwas Wehmut zu, aber die vier Tage kann ich mich noch gedulden. Vom Strand zurück ins Haus jogge ich. Es ist der Alii Drive, wo die ersten 10 km des Laufens stattfinden. Und wieder dutzende Läufer und Radfahrer auf der Strecke! Einige Sponsoren haben Stände aufgebaut, wo man einen Becher trinken kann; am Gatorade Stand halte ich kurz an und suche etwas Schatten, um zu zu trinken.Da erblicke ich durch eine halboffene Gartentüre eine Person mit Schnauz vor einem Mikrofon – Lionel Sanders gibt ein Sponsoreninterview!

Am Nachmittag muss ich mich nochmals in den Rummel nach Kona begeben, für das German Race Briefing. Das wird vom Renndirektor in Englisch gehalten, übersetzt von einem Franzosen ins Deutsche, der bei den Draftingregeln immer vom „Überholenden“ spricht, aber den Überholten meint… Für einmal nicht ganz so professionell, die WTC. Nach einer guten Stunde ist es geschafft.

Am Abend mache ich nochmals eine Sunset Run Session, um dann, nach einem Bad im Pool, mit der Familie einen gepflegten Barbecue zu geniessen. Hawaii ist paradiesisch!

Donnerstag, 2 Tage vor dem Rennen

Heute ist Grosskampftag. Er beginnt mit einem Frühstück unter orangem Himmel bei Sonnenaufgang. Um halb acht ist der Start zum Underpants Run, einer Benefizveranstaltung zu Gunsten der einheimischen Bevölkerung, wo es darum geht, möglichst leicht bekleidet zweieinhalb Kilometer durch Kona zu joggen. Eine einzigartige Parade, die die Anspannung vor dem Rennen etwas löst. Am Rudy Project Stand werfen Sie T-Shirts und Schirmmützen in die Menge. Es herrscht eine Stimmung wie an einem Konzert. Viel besser als and der Parade of Nations vom Dienstag, wo es teilweise (sprich bei den Deutschen) in eine Ballermann-Stimmung ausgeartet ist.

Kurz nach acht gehen Eva und ich bei kleinen Strand am Pier ins Wasser und schwimmen zum Kaffeeboot hinaus, das ein paar hundert Meter weit draussen ankert und den Besuchern Kaffee und Sportgetränke ausgibt. Das Schwimmen hier ist nicht einfach. Je nachdem, ob man sich gerade auf einem Wellenkamm oder in einem Wellental befindet, sieht man die Bojen, denen man entlang schwimmen muss, oder eben nicht. Der Salzgeschmack stört mich hingegen nicht, und die Temperatur ist perfekt. Es geht 1.9 km gerade hinaus und dann wieder zurück – Mann, ist das weit!

Am Mittag fahren wir nach Hapuna Beach, einen wundervollen Strand 50 km nördlich. Auf dem Weg dahin zeige ich Eva, wo sie am Samstag am Eingang des Energy Labs stehen kann, um mich anzufeuern. Wobei anFEUERn nicht nötig sein wird – heiss sein wird es ja schon genug.
Nach erholsamen Stunden am Strand fahre ich die letzten 20 km mit dem Velo, um danach im Energy Lab noch zu laufen. Die Uhrzeit dort dürfte etwa stimmen, falls am Samstag alles nach Plan läuft.

Der HI-19 ist sehr wellig, flache Aufstiege von teilweise fünf, sechs Prozent und bis zu drei Kilometer Länge wechseln sich mit entsprechenden Abfahrten ab. Die Hitze ist mit Fahrtwind erträglich, aber der Bidon schon nach einer halben Stunde leer.

Das Laufstrecke vom HI-19 zum und vom Energy Lab ist kürzer als ich dachte. Das Problem liegt darin, dass es auf dem Weg zurück etwas hoch geht und der Wind von hinten kommt. Letzteres rundet den Kühleffekt des Schwitzens auf Null ab. Kommt hinzu, dass dort Kilometer Dreissig ist, wo der Hammermann sein unwesen treibt! Mal sehen, ob ich ihm am Samstag entwischen kann…

Tag 1: Freitag, der Tag vor dem Rennen

Es gibt nicht viel zu erzählen, ich habe den Tag im Haus verbracht. Am Vormittag habe ich mir Zeit genommen, um die letzten Tage in diesem Blog zu schreiben. Dazwischen habe ich bereits viele Glückwünsche für morgen erhalten. (Unglaublich, wie lange manche Leute in der Schweiz wach sind!) Teils haben sie mich sehr berührt. Vielen Dank! Mahalo!


Wo ich gerade beim Dank bin: Eva hat die letzten Tage dafür gesorgt, dass ich eine weitgehend stressfreie Vorwettkampfphase hatte. Und ich war noch nie vor einem Ironman so relaxed wie heute – vor allem auch dank ihr!
Nur zwischendurch kommt ein Schwall an Nervosität hoch, zum Beispiel beim Pumpen der Reifen oder beim Abfüllen der Bidons. Aber wirklich nur ansatzweise. Ansonsten geniesse ich die letzten Vorbereitungen; jedenfalls mehr als das Carboloading, das mich heute von früh bis spät begleitet.
Um 1530 fahren wir nach Kona, um mein Bike und die Wechselbeutel einzuchecken. Wieder bin ich begeistert von der Professionalität des Organisators: Kein Anstehen, keine Diskussionen. Jeder Athlet wird während des Vorgangs von einem der zahlreichen Supporter begleitet, ja durch die Wechselzone geführt. Vermutlich auch, um Diebstahl vorzubeugen. In der Wechselzone stehen überschlagsmässig 25 Millionen Dollar herum. Die schiere Menge an Karbon auf dieser kleinen Fläche ist beeindruckend. Ich präge mir kurz ein, wo mein Bike steht, meine Wechselbeutel hängen und wo ich durchrennen muss und mache noch ein paar Fotos. Und dann war‘s das schon fast für heute. Beine rasieren, Spaghetti essen, mit Mara spielen (leider viel zu kurz) und ab ins Bett.
Ich bin bereit. Ich habe alles, was ich brauche: ein funktionierendes Velo, ein paar Laufschuhe, einen gesunden Körper, eine Idee im Kopf, Liebe im Herzen und einen Traum in der Seele. Und der wird morgen wahr!